” Deutsch sein ist das: Nicht wünschen was unerreichbar und wertlos! Zufrieden sein mit dem Tag, wie er kommt! In allem das Gute suchen und Freude an der Natur und an den Menschen haben, wie sie nun einmal sind! Für tausend bittere Stunden sich mit einer einzigen trösten, welche schön ist, und an Herz und Können immer sein Bestes geben, wenn es auch keinen Dank erfährt! Wer das lernt und kann, der ist ein Sittlicher, Freier und Stolzer, immer schön wird sein Leben sein.”
So dachte, so war er, der Kaiser, Wilhelm der II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen ( geboren am 27. Januar 1859 in Berlin; gestorben am 4. Juni 1941 in Doorn, Niederlande), aus dem Haus Hohenzollern, der von 1888 bis 1918 letzter Deutscher Kaiser und König von Preußen war.
Wie wurde er so?
Auf die und viele andere Fragen bekommen wir eine ausführliche Antwort in der von Friedrich Hartaus verfassten Monograpie über den deutschen Kaiser.
Friedrich Hartau, Jahrgang 1911, Herausgeber von Anthologien, Buchhändler, Schauspieler, Dramaturg und ab 1941 sogar ein Soldat, starb im Jahre 1981. Er erlebte den Kaiser als einen Zeitgenossen. Er hat sich in seinem Buch vorgenommen, die Problematik der politischen Rolle Wilhelms II. zu beleuchten und stellt fest, dass sie bereits unter seinen Zeitgenossen nicht minder kontrovers bewertet wurde, als dies bei den interessierten Nachlebenden der Fall ist:
” Er hat eine Million Soldaten und will auch hundert Panzerschiffe haben-er träumt […]. Was der Kaiser mutmasslich vorhat, ist mit Waffen überhaupt nicht zu leisten; alle militärische Anstrengungen kommen mir vor, als ob man anno 1400 alle Kraft darauf gerichtet hätte, die Ritterrüstung kugelsicher zu machen-statt dessen kann man aber schliesslich auf den einzig richtigen Ausweg, die Rüstung ganz fortzuwerfen.” (Heinrich Theodor Fontane (1819 – 1898, deutscher Schriftsteller, Vertreter des Realismus).
” Die Wahrheit ist jedoch, dass kein Menschenwesen jemals in eine solche Stellung und Lage hätte versätzt werden dürfen”. (Winston Churchil, von 1940 bis 1945 und von 1951 bis 1955 Premierminister Großbritannien).
Cheinung Kaiser Wilhelms II. ist nun, dass er… sich allen Ernstes vornahm, ein << moderner>> Kaiser zu sein – und es auch wurde […]. In der heutigen Terminologie gesprochen, was ihn unaufhörlich beschäftigte und völlig absorbierte , war sein selbstherrliches, von missionarischem Drang erfülltes Führer – Image weltweiten Formats”. ( Hans Bernd Gisevius (1904 – 1974 deutscher Politiker, Staatsbeamter und Widerstandskämpfer).
Die Lektüre der besprochenen Monographie gewährt dem Lesen viele neue Einblicke in das Leben von Wilhelm gegenüber von den meist sehr pauschal gehaltenen Urteile – z.B. „zeitlebens ein unreifer Mensch“ (DER SPIEGEL), „Schönwetterkaiser“ (Die Zeit).
Hartau unterzieht Kaisers Leben einer seriösen Analyse und beurteilt es aus der Zeitgebundenheit der damaligen Umstände. Mit dem Buch wirft der Autor ein neues Licht auf den Prinzen und stellt den wahren Tatbestand oft ganz anderes dar: Vieles spricht hier für den Kaiser!
Er macht sich damit zu einem Neuinterpreten des letzten deutschen Kaisers, ist aber weit von irgendwelcher Rehabilitationsversuchen entfernt. Er illustriert seine Karriere in einer chronologischen Logik der Biografie: die schwierige Jugend bei Hof, die Etablierung seiner Macht sowie seine politischen Auseinandersetzungen und Ziele gefolgt und beendet mit der Abdankung nach dreißig Jahren Herrschaft.
Im ersten Kapitel zur Kindheit und Jugend Wilhelms II. schreibt der Autor ausführlich uber seinen Handikap (die linke Körperhälfte des Prinzen war durch eine Störung im zentralen Nervensystem beeinträchtigt), Kränkungen durch eine herzenskalte Mutter (Kornprinzessin Victoria von Großbritannien und Irland ), und die moderne Erziehung des Vaters Friedrichs III.
Hartau entlarvt sich hier als „feinsinniger Beobachter” des psychisch labilen Junglings. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er den kleinen Hohenzollern sympathisch findet. Der Autor geht intentional auf einen Brief zu, den Victoria einmal an die Mutter Queen geschrieben hat:
” Leider ist der Arm nicht besser geworden, und Wilhelm fängt an, sich bei jeder körperlicher Übung viel kleineren Jungen unterlegen zu fühlen […], sein Lehrer denkt, dass er alles viel schwerer empfinden und viel unglücklicher sein wird, wenn er älter geworden ist und sich von allem, was andere erfreut, ausgeschlossen sieht”.
Will der Autor mitleidig durch den Zitat uns anschaulich machen, dass des Prinzen körperlicher Hindernis sein Leben und sein Regieren unvermeidlich geprägt und determiniert hat?
„Daß wir Hohenzollern Unsere Krone vom Himmel nehmen und die daraus beruhenden Pflichten dem Himmel gegenüber zu vertreten haben – von dieser Auffassung bin auch ich beseelt, und nach diesem Prinzip bin ich entschlossen, zu walten und zu regieren.”
Aus dieser Überzeugung bezog Wilhelm II. seinen autokratischen Anspruch, wird aber in weiteren Kapiteln als „Einzelkämpfer” mit mangelnden Koordinationsfähigkeit und mit wenig Verständniss von komplexen diplomatischen Innen – wie auch Außenpolitik, dargestellt.
Jedoch bringt der Autor für den Kaiser viel Verständnis an und skizziert ihn nicht als einen bösen Menschen der die „Schlüsselfigur auf dem fatalen Weg von Bismarck zu Hitler” war – wie der britische Historiker John C.G. Röhl in: „Wilhelm II.. Der Aufbau der persönlichen Monarchie” einmal feststellte. Er versucht ihn auch nicht zu marginalisieren und zum bloßen „Schattenkaiser“ (Hans-Ulrich Wehler) zu machen. Er sieht in ihm eine Glanzfigur in dem Schauspiel der militärischen Kaiserparaden mit Marschmusik und Pomp, einen Sprecher der Nation, aber auch einen harmlosen und zu keinem Handeln fähigen << Le Kaiser >>.
Der deutsche historiker Golo Mann ( 1909 – 1994) wollte einmal auch für den Kaiser, wie unten zitiert, sprechen:
„[…] Er wollte geliebt werden, nicht Leid verursachen. […] Feste feiern, reisen, sich den Leuten zeigen, hoch zu Ross seine Garden zum Manöverstürme führen, mit Seinesgleichen bei fürstlichen Banketten Toaste wechseln, in der Hofloge sitzen, angetan wie ein Pfau, mit den Blicken ins Publikum, Schnurrbart streichend, huldvoll strahlend, das war seine Art.”
In den drei folgenden Kapiteln, die die innenpolitische Situation bis zum Ersten Weltkrieg beschrieben, zeigt sich der Monarche noch stärker als in der Außenpolitik. Oft wurde S.M. instrumentalisiert. Der Umgang mit Otto Bismarck (Ministerpräsident und Reichskanzler (1894-1918), Sozialdemokrat) soll schwierig sein. Einmal resümiert Wilhelm die Situation im Klartext:
„Ich halte die Sozialdemokratie für eine vorübergehende Erscheinung. Sie wird sich austoben.” (Karl Ferdinand in „König Stumm”).
Ein anderes Mal schreibt er an Bismarck:
” Die Hundebande ( über bayrischen Landtagsminister) von Zentrum ist bestrebt, die Fundamente der Disziplin des Heeres und damit der Hohenzollernmonarchie zu unterwühlen.” ( Bülow ” Denkwürdigkeiten”)
„Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig die Unterstützung. Das Entlassungsgesuch Bismarcks datiert vom 18. März 1890. Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt.”(Wikipedia)
Der letzte Kapitel schildert die historischen Ereignisse nach dem Tag des Mordes am österreichichen Thronfolger Franz Ferdinand und dadurch initiiertem Ausbruch des ersten Weltkrieges. Durch die sehr detaillierte Beschreibung von politischen Entwicklungen und dem Kaiserlichen Privatleben in dieser Zeit, beleuchtet Hartau dem Leser die Europas schwierige Lage aus zahlreichen Perspektiven.
Hartaus Lektüre trägt dazu bei, dass wir den Eindruck gewinnen, dass der Verfasser ein Gesamtbild von einer Person schildert – als Produkt seiner Zeit: Zeit der Monarchie, die mit übersteigerten öffentlichen Erwartungen angeprangert war.
Das Augenmerk des Autors gilt hauptsächlich dem Kaiser als einem Menschen. Als er die Szene seiner Abdankung beschreibt, entzieht er sich nicht einem Zitat aus der Wilhelms formloser Abdankungsurkunde, die mit den Worten sich schliesst: ” Ich bin hier nur noch Privatmann”.
Wilhelm der II., der letzte deutsche Kaiser, wie ich feststellen musste, erfreut sich auch fast 100 Jahre nach seiner Abdankung eines ununterbrochenen Interesses. Dies zeigt sich etwa daran, dass sich in den letzten Jahren die Zahl der biografischen Arbeiten über ihn noch vermehrt hat.
Sehr lobenswert ist außer Hartaus die Christopher Clarks Biografie. Mit Eleganz und Genauigkeit schildere der britische Historiker die Herrschaftszeit Wilhelms II. Er bemüht sich in seinem glänzend geschriebenen Buch auch um Verständnis für den Kaiser, dem er dennoch eine „völlige Unfähigkeit” für eine stimmige Politik nachweist.
Das mit Bildern versehenes monographisches Buch Hartaus ist mit seien fast 170 Seiten zweifellos für jeden Bücherkenner lesenswert. Hartau liefert für die an Wilhelm II. Interessierten eine gute handliche Biografie, die eine lebhafte Diskussion um die politische Rolle des deutschen Kaisers nachhaltig bestimmen kann.
Das Buch ist jedoch weniger für den wissenschaftlichen Nutzerkreis geeignet, es handelt sich wohl eher um ein „historisches Lesebuch“ für einen breiten, nicht unbedingt wissenschaftlich interessierten Leserkreis.